Psychologische Wirkungen von Klängen
Nach dem Sehen ist das Hören unsere wichtigste Sinneswahrnehmung. Bevor wir das Licht der Welt erblicken, nehmen wir bereits im Mutterleib Geräusche über unsere Ohren auf, die nach viereinhalb Monaten schon voll ausgebildet und funktionsfähig sind. Wir lernen die Stimme unserer Mutter von anderen Geräuschen zu unterscheiden, ahnen aus ihrem Tonfall, wie sie sich gerade fühlt, und prägen uns die Stimme unseres Vaters ein, mit dem sie häufig spricht. Und wir entnehmen dem, was hier hören, ob es für uns angenehm oder unangenehm, aufregend oder langweilig, harmlos oder gar gefährlich ist.
Nach Thomas Verny reagieren Ungeborene im Alter zwischen vier und fünf Monaten bereits sehr differenziert auf Musik. Bei Versuchen mit Vivaldi beruhigten sich sogar sehr unruhige Babys, während bei Beethoven selbst die ruhigsten Babys anfingen, sich zu bewegen und zu strampeln.
Geräusche prägen auch später noch unser Leben. Bei unseren Vorfahren sicherten sie sogar das Überleben, indem sie vor Gefahren ( z.B. wilden Tieren ) warnten. Für eine Reihe von Naturvölkern trifft das heute noch zu. Aus diesem Grund lassen sich unsere Ohren - im Gegensatz zu den Augen - nicht einfach verschließen. Wir hören selbst im Schlaf noch, nur entscheidet hier unser Gehirn, welche Geräusche Gefahr signalisieren und eine Reaktion erfordern, und welche harmlos sind und daher besser nicht in unser Bewußtsein dringen sollten, um unsere Nachtruhe nicht zu beeinträchtigen. Bei vielen funktioniert dieses selektive Hören heute nicht mehr. Sie leiden unter einem sehr seichten Schlaf und werden bei jedem Geräusch wach oder können gar nur dann einschlafen, wenn es um sie herum totenstill ist.
Wir kommunizieren mit unserer Umgebung hauptsächlich über Klänge in Form von Sprache und Musik. Das Miteinander - Reden dient nicht nur der reinen Verständigung; es vermittelt auch Gemeinschaft, Zusammengehörigkeit, Zuneigung und emotionale Zuwendung und ermöglicht einen verbalen Austausch von Gefühlen. Wesentlich unmittelbarer als durch Worte lassen sich Emotionen durch Musik zum Ausdruck bringen. Diese "kann die logischen und analytischen Filter des Verstandes umgehen und einen direkten Zugang zu tiefliegenden Gefühlen und Leidenschaften herstellen." Auf diese Weise ruft sie vielfachdie Erinnerung an zurückliegende, angenehme Ereignisse ins Gedächtnis zurück oder spricht unausgelebte Bedürfnisse der Gegenwart an. Wir schwelgen dann in Erinnerungen oder geraten ins Träumen.
Rhythmische Musik regt uns an und reißt uns mitunter geradezu mit, während langsame, sanfte Klänge eher beruhigend und entspannend auf uns wirken. Manche Stücke lassen uns melancholisch werden, andere wiederum machen uns fröhlich und holen uns aus einer trüben Stimmung wieder heraus. Sakrale Musik mit Orgelklängen und Chören löst in der Regel eine feierliche Stimmung aus, während monotone, sich stets wiederholende Gesangsfolgen (z.B. gregorianische Gesänge und indischer Kirtan) regelrecht in Trance versetzen können.
Daraus ergibt sich, daß Klänge in der Lage sind, unser Bewußtsein zu verändern, ja sogar zu manipulieren. Diese Tatsache läßt sich auch therapeutisch nutzen. Einige Behandler wählen z.B. gezielt Musikstücke für ihre Patienten aus, die sie für deren momentane Symptomatik als geeignet erachten. Es gibt inzwischen bereits eine "musikalische Hausapotheke", die Empfehlungen bestimmter Musikstücke für diverse Alltagsbeschwerden enthält.
Eine weitere Form der Musiktherapie sind die bereits erwähnten Cassettenprogramme, die entweder zur allgemeinen Entspannung oder auch für ganz spezielle Gesundheitsprobleme im Handel angeboten werden. Sie enthalten neben reinen Musikstücken und beruhigenden Naturgeräuschen oft auch manipulative Elemente. Diese bestehen teilweise aus gesprochenen Affirmationen oder auch kaum hörbaren Programmierungssätzen (sog. Subliminals).
Eine andere Methode, die nur beim Anhören über einen Kopfhörer funktioniert, sind gezielte Tonhöhenunterschiede zwischen der linken und rechten Seite. Durch diese sog. Binaural Beats wird das Gehirn dazu stimuliert, die Differenzfrequenz zu erzeugen, wobei in diesem Fall beide Hemisphären mit derselben Frequenz schwingen (Hemisphären-Synchronisation). Damit läßt sich nicht nur eine verbesserte Koordination von linker und rechter Hemisphäre (d.h. von Gefühl und Verstand) bewirken, sondern auch jede beliebige Gehirnwelle erzeugen. Wünscht man z.B. eine Gehirnfrequenz von 10 Hz, so gibt man auf das eine Ohr 200 Hz, auf das andere 210 Hz. Auf diese Weise lassen sich nicht nur nach Gutdünken, Alpha und Theta-Zustände (Schläfrigkeit und tiefe Ruhe) erzeugen, sondern auch sog. veränderte Bewußtseinszustände. Pionier dieser Forschung ist Robert Monroe, dem es mit dieser Methode u.a. gelang, im Laborexperiment außerkörperliche Erfahrungen hervorzurufen.